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Leihen wir doch der Kunst ein Ohr!

Unsere Ohren sind zum Hören da, doch als kunstvolles Detail am Menschen waren Ohren schon immer Inspirationsquelle für Künstler: Manche schnitten sich ein Ohr ab, andere wiederum hörten ein „altes, köstliches Bild!“ Die wohl spitzesten Ohren hat Albrecht Dürers Feldhase um 1502 und ein gänzlich schwarzes Ohr schuf Julia Bornfeld im Jahre 2020 für das Audioversum. Über die Rolle des Ohres in der Kunst erzählt Julia Sparber-Ablinger (Head of Audioversum) in diesem Beitrag.

Albrecht Dürer. Feldhase, 1502, Albertina, Wien. @Christian Kolb

Musik in meinen Ohren – eine geflügelte Redensart. Heute weiß jeder, dass nicht nur Musik im herkömmlichen Sinne gemeint ist, sondern jede Art von musischer Betätigung. Die schönen Künste als ästhetische Phänomene, die gesehen, aber auch gehört werden wollen, denn Bilder leben von den assoziierten Eindrücken ihrer Betrachter. „Das Bild schweigt, bis man es aufhängt“, schreibt der Osttiroler Künstler und Lyriker Hans Salcher und meint, dass die Kunst an der Wand auch hörbar gemacht werden will. Der als exaltiert geltende Installationskünstler Martin Kippenberger ging mit einem Ohren-Sager in die jüngere Kunstgeschichte ein: „Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden!“ Er kritisierte damit den ständigen Druck der Künstler, sich stets neu erfinden zu müssen. Kippenberger ist der Generation der Neuen Wilden in den 1980er Jahre zuzuordnen, nahm aber bewusst auf eine frühe, große Künstlerpersönlichkeit Bezug: Vincent van Gogh (1853-1890). Der niederländische Maler und Zeichner gilt nicht nur als Begründer der modernen Malerei des Post-Impressionismus, sondern auch als der Künstler, der sich einen Teil seines Ohres abschnitt. Der überlieferten Anekdote nach wurden ihm der Alkohol und die heftige Auseinandersetzung mit seinem Malerkollegen Paul Gaugin (1848-1903) zu viel. Sein „Selbstbildnis mit verbundenem Ohr“ aus dem Jahre 1889 hängt heute im Kunsthaus Zürich und ist Millionen wert.

Das Ohr – zentraler Bestandteil der bildenden Kunst

Jan Vermeer, 1665, Das Mädchen mit dem Perlenohrring, Mauritshuis

Noch viel früher näherte sich ein anderer Niederländer einem subtilen Ohr und schuf damit sein berühmtestes Werk: Jan Vermeer (1632-1675) war einer der bekanntesten, holländischen Maler des Barock. „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ ist das berührende Bildnis eines Mädchens, das mit leicht geöffnetem Mund jeden Betrachter direkt anschaut, dessen Blick aber unweigerlich von der funkelnden Perle am Ohr angezogen wird.

Hieronymus Bosch (1450-1516). Der Garten der Lüste, 1500-1505. Rechter Flügel, Hölle, Detail. Museo del Prado, Madrid.

Während Hieronymus Bosch (1450-1516) zwei Ohren umfassend dekonstruierte und mit fantastischen Details auflud. Sein Triptychon „Garten der Lüste“ zeigt ein Ohrenpaar, das mit einem Pfeil durchbohrt wird und die sogenannte „musikalische Hölle“ darstellt. Der lärmende Mensch, der Instrumente zu Folterwerkzeugen macht. Ein bedrohliches Szenario, das aktueller denn je erscheint, weil der zunehmende Umweltlärm unserer Gesundheit schadet. In einer Großstadt wie Wien leben mehr als 800.000 Menschen mit einer durchschnittlichen Lärmbelastung von 55 Dezibel (European Environment Agency). Der Lärm, der vor allem durch den zunehmenden Verkehr verursacht wird, kann laut Weltgesundheitsorganisation WHO Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorrufen, aber auch das Erbgut einzelner Zellen schädigen. Eine durch Lärm verursachte Schwerhörigkeit ist die häufigste, anerkannte Berufskrankheit. Deshalb ist Prävention der wichtigste Schutz vor Gehörverlust und das Bewusstsein dafür, wie wertvoll und empfindlich unser Hörorgan ist.

Das Ohr im Audioversum

Sentire Julia Bornefeld

Die Wand oberhalb unserer Klangtreppe hat Ohren: Die deutsche Künstlerin Julia Bornefeld schuf dieses Kunstwerk aus Styrodur, Kohlenstaub und Stahl, um eine Fülle von Wahrnehmungen zu visualisieren: hören, fühlen, empfinden, riechen, schmecken. Sie verarbeitet mit sentire vielschichtige Körper- und Sinneswahrnehmungen und stellt diese in einen spannungsreichen Kontext: Kann man mit den Augen hören? Mit der Verwendung von Styrodur und Kohlenstaub will sie das Ohr ohne physische Berührung nur visuell erstasten und erklingen lassen. Sie lotet das künstlerische Erfahrbarmachen erlebter Sinnesreize und dessen Einschränkungen aus. Julia Bornefeld´s Ohr „wächst“ im Audioversum aus der Wand und soll die BesucherInnen in das ABENTEUER HÖREN begleiten.

Das Ohr am Rathaus in Innsbruck

Isa Genzken. Das Ohr, 2002. Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Cologne/New York.

Auch die deutsche Universalkünstlerin Isa Genzken widmet sich dem geöffneten, menschlichen Organ: Sie fotografierte bei einem Stadtrundgang in New York lauter weibliche Ohren. Eines davon ist seit 2002 als überdimensionale Fotografie am Innsbrucker Rathaus zu sehen. Das Ohr soll eine symbolische Verbindung schaffen zwischen öffentlich und privat, zwischen dem Menschen und der formalen Organisation.

Ich sehe in all den kunstvollen Ohren vor allem einen achtsamen Appell: Anderen richtig zuhören, der eigenen, inneren Stimme lauschen und sich in die Musik als schöne Kunst reinhören …
Ach, wie gut wenn uns kein Lärm um die Ohren fliegt, sondern wir „ein altes, köstliches Bild, die edle Struktur einer göttlichen Musik erkennen.“ Hermann Hesse hat bereits 1927 die akustische mit der bildenden Kunst verbunden. Um die schönen Künste wahrzunehmen, brauchen wir alle Sinne. Auch und vor allem unsere Ohren.

Seit August 2019 lenkt Julia Sparber-Ablinger die Geschicke des AUDIOVERSUM. Mit ihr hat auch die Kunst zum Hören Einzug im Science Center gehalten.

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